Sprich, Bruder Wolf
Am 4. Oktober ist Welttierschutztag
"Ein Thier von grimmer Wildheit und schrecklicher Größe"
von Colin Goldner
Jedes zur Erstkommunion zugelassene Kind kennt die Geschichte des Giovanni Battista Bernardone, jenes jungen Mannes aus dem mittelitalienischen Assisi, der mit den Tieren reden konnte. Es ist die Geschichte jenes wohlhabenden Tuchhändlersohnes, der nach einem Erleuchtungserlebnis, bei dem Gott direkt zu ihm sprach - manche sagen auch: nach einem Schlag auf den Hinterkopf in einer Fehde mit der Nachbarstadt Perugia -, seinem Luxusleben als verwöhntes Bürgersöhnchen entsagte, sich den Schädel rasierte und hinfort als Franziskus der Wandermönch unterwegs war.
Tatsächlich weiß niemand genau, was dem 24-jährigen Giovanni Battista im Frühsommer des Jahres 1206 widerfahren war. Jedenfalls zerstritt er sich mit seiner Familie und lief von nun an bevorzugt nackt durch die Gegend. Er begründete den "Orden der Minderen Brüder", der sich, bettelnd und Buße predigend, ganz dem biblischen Vorbilde Jesu verschrieb.
Schon zwei Jahre nach seinem Tod im Jahre 1226 wurde Franziskus von Papst Gregor IX. heiliggesprochen. Mit einem Heiligen, der zu Lebzeiten auf jede irdische Habe verzichtet hatte, ließ sich sehr gut die eigene Protz- und Verschwendungssucht kaschieren.
Von besonderer Tierliebe ist in den frühen Zeitzeugenberichten und Biografien des Franz von Assisi nirgends die Rede. Allenfalls wird berichtet, dass er, in Abwandlung der im Mittelalter weitverbreiteten Mysterienspiele, im Jahre 1223 das Weihnachtsevangelium in Form einer lebenden Krippe - mit Ochse, Esel und ein paar Schafen - darstellen ließ.
Seine legendäre Vogelpredigt, bei der er eine Schar Vögel mit frommen Worten ermahnt haben soll, Gott allezeit und allerorten zu loben, wurde erst sehr viel später hinzugedichtet. Desgleichen seine berühmte Begegnung mit dem Wolf von Gubbio, einem, wie die Legende sagt, "Thiere von grimmer Wildheit und schrecklicher Größe", das er allein mit dem Kreuzzeichen gezähmt habe: "Der Heilige rief ihn her und sprach: 'Komm zu mir, Bruder Wolf! Im Namen Christi befehle ich dir, weder mir noch sonst jemandem einen Harm zu tun!' Und wunderbar, es schloss das Untier den Rachen, kam gesenkten Kopfes heran und legte sich gleich einem Lamme zu seinen Füßen."
Zum "Tierschutzheiligen" stieg Franziskus erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf, 1931 wurde sein Todestag, der 4. Oktober, zum "Welttierschutztag" ausgerufen. Allerdings nicht von der katholischen Kirche, sondern von einem in Florenz veranstalteten Kongress mit Vertretern von 152 Tierschutzvereinen aus 32 Ländern. Die Kirche zog erst 50 Jahre später nach: Im Jahre 1980 wurde Franz von Assisi per päpstlichem Dekret zum Tierschutz- und Umweltheiligen ernannt. Mit einem Heiligen, der mit den Tieren sprach, ließ sich gut vom eigenen Komplettversagen in der "Wahrung der Schöpfung" ablenken.
Die Gabe des heiligen Franziskus, mit Tieren zu sprechen, feiert fröhliche Urständ in der veterinären Heilpraktikerszene. Zahllose Tierdolmetscher, Tierflüsterer oder Tierkommunikatoren bieten an, mit Tieren in telepathischen Kontakt zu treten. Sie übermitteln auf "mentalem" Wege vom Tierhalter gestellte Fragen und geben die auf gleichem Wege empfangenen Antworten des Tieres verbal wieder. Es sei dergestalt möglich, das Tier nach seinem Befinden zu fragen, auch danach, was genau es benötige. Tiere seien in der Lage, das für sie jeweils erforderliche Bach-Blütenpräparat oder Homöopathikum selbst zu bestimmen und mitzuteilen.
Tierkommunikatoren bieten ihre Dienste durchweg auch als Begleitung von Tier und Halter an, wenn das Tier stirbt oder eingeschläfert werden muss. Das Tier könne direkt befragt werden, ob es möchte, dass ihm beim Sterben geholfen werde. Sterbende Tiere, so die prominente Tierkommunikatorin Kate Solisti-Mattelon, machten der Menschheit ein großes Geschenk: "Immer wieder sagen sie uns, dass der Tod ein Tor in eine andere Realität ist. Er ist nicht das Ende, sondern ein Übergang, der sie zurück zur Einheit mit der Quelle führt, bevor sie in einem neuen Körper zurückkehren". Sie selbst habe vielen Klienten geholfen, "ihr Haustier in einem neuen Körper wiederzufinden".
Auch die Kommunikation mit toten Tieren sei möglich, die ihren vormaligen Besitzern aus dem Jenseits Rat und Lebenshilfe - von beruflichen und finanziellen Fragen bis hin zur Entscheidung bei der Wahl eines Lebenspartners - zuteilwerden ließen. Eine 15- bis 30-minütige Tierkommunikation "vor Ort" kostet zwischen 40 und 250 Euro, zuzüglich anfallender Spesen. Preisgünstiger hingegen ist ein telepathisches Gespräch mit dem Tier via Telefon.
Zu den prominenten Verfechterinnen telepathischer Tierkommunikation zählt Esoterik-Ikone Barbara Rütting, die als Tierschutzbeauftragte der Grünen im Bayerischen Landtag sitzt.* Den 4. Oktober hat sie in ihrem Kalender rot angestrichen.
Wahrheit vom 04.10.2007
* Barbara Rütting ist Anfang 2009 aus dem Bayerischen Landtag ausgeschieden. Siehe auch >> hier
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