Der nachfolgende Aufsatz von Adolf Kraßnigg wurde mit Einverständnis des Autors für diese Seite etwas leserInnenfreundlicher gelayoutet
Adolf Kraßnigg
Dominanzverhalten - Die Alpha-Falle
Eine tiefe Sorge quält Deutschlands Hundehalter, und sie hat einen Namen: "Dominanzverhalten". Fordert Sie ihr Hund zum Spiel auf, noch dazu mit Schnauzenstoß? Geben Sie ihrem Hund zu fressen, bevor Sie dinieren? Trabt er vor ihnen zur Haustüre hinaus und ebenfalls vor ihnen wieder hinein? Stürmt er obendrein die Flurtreppe hinauf? Zieht ihr Hund an der Leine? Und legt er sich sogar auf ihren Couchplatz vorm Fernseher? Dann ist ihr Schicksal als Hundebesitzer besiegelt und ihr völliges Versagen als Alpha-Hund dokumentiert!
Denn das weiß doch jeder: Der Alpha bestimmt ganz alleine über die Tätigkeit des Rudels, ob "Jagd", Spiel oder Siesta. Der Alpha führt immer das Rudel an, und wehe, jemand wagt sich auch nur einen Schritt voraus. Der Alpha besetzt immer den höchsten und besten Platz und verteidigt ihn jederzeit. Der Alpha frißt zuerst, usw. So lauten die Schlachtrufe der Gralshüter des menschlichen Dominanzanspruchs.
"Checken Sie ihre Rangordnung!" fordern gewiefte Profis der Hundebranche zu einschlägigen Tests auf. Für manche Hundehalter ein K.O. in der ersten Runde, eingekleidet in süffisante Formulierungen wie "Wollen Sie wirklich keinen Besuch mehr zu Hause empfangen" oder "Wieso machen Sie sich zum Butler ihres Hundes"? Konjunktur für die professionellen Retter.
Marketingtrick oder wirklichkeitsnahes Problem? Auf diese und andere Fragen der "praktischen" Kynologie, aber auch Grundsatzfragen der Verhaltensforschung bei Hunden versuchten die 9. Wolfswinkeler Hundetage 2001 Antworten zu geben.
Definition Dominanzverhalten
Bleiben wir aber beim Dominanzverhalten. Was ist das überhaupt? Dr. Dorit U. Feddersen-Petersen gehört zu den eindrucksvollsten und kompetentesten Vertretern der gegenwärtigen Forschung über Haushunde. Ihr außergewöhnlicher Haarschopf entspringt dabei nicht etwa einer modischen Marotte, sondern dient einer einleuchtenden Funktion: Als Erkennung für ihre Hunderudel an der Uni Kiel, die sich so die typische Aufregung beim Erscheinen Fremder sparen können. Das erleichtert die Beobachtung erheblich.
Frau Feddersen-Petersen definiert nun, sinngemäß, Dominanzverhalten beim Hund als aktives Beschneiden von Bewegungs- und/oder Handlungsfreiheit (durch den Ranghöheren) bei passivem Dulden (durch den Rangniederen). Wie aber macht sich das praktisch bemerkbar?
Beobachtungen an Wölfen
Bei solchen Grundfragen des Hundeverhaltens lohnt es sich immer, bei der Wildform Wolf nachzuschauen. Wölfe zeigen die gesamte Palette des Canidenverhaltens in markanter Ausprägung. Beim Hund gehen diese Verhaltensweisen nicht verloren, werden aber oft entweder in abgeschwächter oder verstärkter Form hervorgezüchtet.
Günter Bloch beobachtet nun schon seit Jahren ein kanadisches Wolfsrudel in seinem angestammten Territorium, das eine Ausbreitung von mehr als 12 Tausend Quadratkilometern(!) aufweist. Länger als 900 Stunden hat Bloch bisher "seine" Wölfe verfolgt, und dabei fast 300 Stunden unmittelbare Wolfssicht gehabt. Ein ungewöhnlich hoher Anteil, der einerseits der Telemetrie zuzuschreiben ist, andererseits natürlich auch der behutsamen Gewöhnung an die Gegenwart der Beobachter.
Aufgaben des Alpha-Rüden
Und tatsächlich, der Alpha-Rüde des kanadischen Rudels nimmt seine Führungsaufgabe ernst. Vor allem in der Gefahrenaufklärung, etwa an den Grenzen fremder Territorien, tritt er in Aktion. Er übernimmt den Schutz des Rudels, er versucht Gefahrensituationen zu erkennen - um sie am besten zu vermeiden-, und er stellt sich als erster möglichen Attacken fremder Wölfe entgegen. Alpha zu sein, das heißt, Verantwortung zu tragen und den Kopf als erster hinzuhalten. Dabei behauptet er den unangefochtenen Vortritt. Im sicheren Kernbereich des Territoriums aber hat der Alpha das nicht nötig.
Hier entfernen sich die rangniederen Wölfe, meist Jungtiere, oft etliche Kilometer von Alpha-Rüde und Alpha-Hündin. Sei es im Spiel oder gar auf der Jagd! Allerdings bleibt der Erfolg dieser Jagd oft bescheiden. Die jungen Wölfe vergeuden dabei kostbare Energie! Darum folgen sie dann auch gerne dem Jagdzug der erfahrenen Alphas und haben dann ihren gesicherten Anteil an der gemeinsamen Beute. Die Alphas sorgen also für die Ernährung ihres Rudels.
Die Attacke auf freche, aber schnelle Kojoten führt jedoch die Tochter des Alpha-Paares an. Denn sie ist die schnellste Läuferin, und ein Kojote kann ihr nicht gefährlich werden. Der Alpha-Rüde ist zwar stark und kompakt, aber zu langsam für die fixen Nahrungskonkurrenten der Wölfe. Doch der Alpha vergibt sich bei diesen Führungswechseln überhaupt nichts, die Rangordnung bleibt unangefochten. Im Bedarfsfall muß er nicht einmal aufstehen, ein Blick zum Jungrüden genügt, und alles ist geklärt!
Das Fazit: Wölfe sind "klüger", als manche vermuten. Sie verhalten sich den Erfordernissen einer Situation entsprechend. Das Rangverhalten orientiert sich nicht an einer formalen, prestigebeladenen Hierarchie, sondern an den für das Überleben erforderlichen Funktionen. Die Alphawölfe beanspruchen das Privileg der Fortpflanzung und tragen dafür die Verantwortung für das Überleben des Rudels.
Probleme der Verallgemeinerung
Zwei "Schönheitsfehler" verhindern aber eine einfache Verallgemeinerung der Ergebnisse und Übertragung auf Hunde. Den einen nennt Günter Bloch selbst. Das Verhalten von Wölfen ist so komplex, daß Beobachtungen bei einem Rudel an etlichen anderen Rudeln bestätigt werden müssen. Der andere: Die kanadischen Wölfe gehören zum nordischen Wolfstyp, der keinesfalls der unmittelbare Vorfahre unserer Haushunde sein kann (siehe auch Professor Hemmer, Literaturnachweis). Der nordische Wolf gehört zur höchsten, aber spätesten Ausprägung des Wolfsevolution. Ihn kennzeichnen nicht nur der große Körperbau sowie der breite Schädel mit den schräggestellten Wolfsaugen, sondern auch im Gebiß der in Form und Größe herausragende Reißzahn (1. Molar, nicht Eckzahn). Von diesen körperlichen Merkmalen führt kein Weg zu unseren Haushunden, und das bestätigen auch genetische Untersuchungen.
Ahnen Südwölfe
Unsere Hunde stammen statt dessen von den Südwölfen ab. Eberhardt Trumler besteht hartnäckig auf canis lupus pallipes (Indischer Wolf, Verbreitungsgebiet ursprünglich auch über Persien bis zum Nahen Osten) als unmittelbaren Ahnen unserer Hunde. Die Südwölfe repräsentieren eine ursprünglichere Evolutionsform der Wölfe als der Nordtyp, sind kleiner und zeigen einen deutlich hundeähnlichen Kopf und eine Gebißform (s.o. Reißzahn), die entsprechend hundeähnlich ausfällt.
Heute verdichten sich die Anzeichen, daß eine sehr kleine Population, vielleicht nur zwei oder drei Tiere, Ausgangsform aller Haushunde geworden sind. Es muß sich hierbei um besonders auffällige Mutationen gehandelt haben, Wölfen nämlich, denen das typische Wolfsgrau als Wildfarbe fehlte. Dafür zeigten sie eine auffällige Rot- oder Gelbfärbung. Ein starkes Indiz dafür findet sich bei den ursprünglichsten Hundetypen, den Schensi-Rassen (siehe Bild: Schensi-Mischlingin der Trumler-Station), denen die graue Wildfarbe vollständig fehlt.
Die möglicherweise sprunghaft verlaufene Domestikation des Hundes erscheint im Vergleich zu anderen Domestikationen außergewöhnlich, aber nicht einzigartig. So stammen z.B. alle Goldhamster dieser Erde von drei "Mutanten" ab, einem Männchen und zwei Weibchen.
Gehirnmasse, Rotfärbung
Eine besondere Eigenart der Domestikation liegt in der Reduktion der Gehirnmasse des Hundes, relativ zur Körpermasse. Im Vergleich zu den Südwölfen beträgt diese z.B. beim Neuguinea-Dingo, einem Schensi-Vertreter, ca. 16%. Beim Chow Chow erhöht sich diese Reduktion auf fast 30%. Davon sind vor allem die Sinnesleistungen des Wolfs betroffen - nur so kann der Hund die Welt des Menschen ertragen!
Die außergewöhnliche Rotfärbung der ersten Hunde dürfte ein besonderes, vielleicht sogar kultisches Interesse gefördert haben. Während ihrer weltweiten Verbreitung fanden aber immer wieder Einkreuzungen durch andere Caniden, vor allem Nordwölfe statt. Das brachte den Hunden die Wildfarben des Wolfs zurück, erhöhte aber auch die relative Hirnmasse etlicher Rassen oder Schläge, etwa bei den Huskies oder den Doggenverwandten.
Die Vielfalt heutzeitlicher Hunderassen ist demgemäß auf vielfältigen Wegen zustande gekommen. Zwar blieb, wie oben bereits erwähnt, das Wildverhalten der Wölfe als Ganzes erhalten. Allerdings weisen verschiedene Rassen oder Schläge unterschiedliche Ausprägungen dieses Verhaltens auf. So muß auch das Dominanzverhalten unserer Hunde an den verschiedenen Rassen immer wieder neu überprüft werden, bevor man allgemeine Aussagen machen kann. Beobachtungen am Langnasenrudel
Wer aber glaubt, der Hund, neben der Katze das am häufigsten vorkommende Haustier, sei Gegenstand breit angelegter Forschungen, sieht sich bitter enttäuscht. In der BRD lassen sich nur zwei Forschungsstationen nennen, die Uni Kiel und die Trumler-Station in Wolfswinkel! Von beiden liegen uns immerhin bestimmte Erkenntnisse vor, und wir wollen uns auf das von Dipl.Biologe Leidhold beobachtete "Langnasenrudel" in Wolfswinkel konzentrieren.
Bei den Langnasen handelt es sich um eine abenteuerliche Mischung aus Saluki und einem Mix von diversen Haushundrassen. Im Rudel haben sich dabei wichtige Windhundmerkmale durchgesetzt. Die Langnasen lieben es, auf ihrem hölzernen Liegeplateau in dichtem Gedränge zusammen zu kuscheln - ein bei Wölfen undenkbares Verhalten. Der enge Kontakt der Hunde zeigt die Übernahme von Welpenverhalten ins Erwachsenenstadium; ein typisches Domestikationsmerkmal (Neotonie). Platzanspruch
Doch schauen wir einmal genauer hin. Per Zufall hat der Alpha-Rüde einen Platz am Rande eingenommen. Doch jetzt erhebt er sich und beginnt, über andere Rudelmitglieder hinweg zu steigen und zur Mitte des "Haufens" zu streben. Ganz behutsam setzt oder schiebt er seine Pfoten zwischen die Körper der anderen. Kein böser Blick, kein Knurren, kein einziges Aggressionszeichen wird sichtbar. Auch seine Rudelgenossen zeigen keinerlei Beunruhigung oder gar Angstreaktionen. Doch der eine ruckt etwas, der andere schiebt, und der dritte wälzt sich ein wenig - und schließlich tut sich eine kleine Lücke auf, in der sich der Alpha niederläßt. Allein das beharrliche Streben hat die Rangniederen veranlaßt, dem Alpha den Platz einzuräumen, den er beansprucht.
Freßordnung, Rangordnung
Als aufschlußreich erweist sich das Verhalten des Rudels am Futter, einem toten Kalb, das von Frau Trumler und Helfern ins Gehege geschleppt und aufgebrochen wird. Dicht drängt sich dabei die Masse der rangniedrigen Rudelmitglieder heran, und jeder versucht sofort, eine gehörige Portion zu ergattern. Alle kennen genau das Scheuverhalten der Alphas - und auch des Beta-Rüden - gegenüber den Menschen. Deswegen haben sie zu Beginn der Fütterung, vor allem während der Anwesenheit der Menschen, die beste Chance, ihren Anteil an der "Beute" zu erhalten.
Erst wenn die Menschen das Gehege verlassen haben, drängen auch die Ranghöheren heran. Dort ein scharfer Blick, ein kurzes Drohknurren, auch ein Rempeln mit der Breitseite, und immer mehr Rangniedere weichen vom Kadaver zurück in eine immer größer werdende Warteschlange. Schließlich bleiben nur der Alpha-Rüde und der Beta am Kalb und liefern sich ein Drohduell. Dann geschieht das für die Beobachter schier Unfaßbare - der Alpha weicht vor dem Drohen des Beta zurück und überläßt ihm die Beute!
Darf der das überhaupt, so einfach vor seinem Beta kneifen? Ja, sagt Leidhold. Aber woran erkennt man dann überhaupt, daß der Alpha wirklich Alpha ist? In jedem Fall bei den "Mädels": Wenn die Alpha-Hündin läufig ist, läßt der Alpha-Rüde nichts anbrennen. Dann hat auch der Beta keine Chance und muß klein beigeben.
Beim Futter aber wird die Rangordnung wesentlich durch den Hunger mitbestimmt. Voller Bauch streitet nicht gern, heißt offenbar die Devise. Und der Alpha hat es offenbar gar nicht nötig, bei jeder Gelegenheit seinen Rang zu beweisen, nicht einmal beim für uns so wichtig erscheinenden Fressen."Leichtes" und massives Bedrängen
Doch gibt es auch beim Alpha der Langnasen Situationen, wo er äußerst empfindlich auf Anmaßungen von Dominanzverhalten anderer Rudelmitglieder reagiert. Der Beta des Rudels ist nämlich ein "Nickel", der ab und zu seinen "Boß" provoziert.
Szene: Alpha ruht friedlich inmitten anderer Rudelmitglieder. Geradezu beiläufig schreitet Beta von der Seite heran und legt kurz, ebenfalls fast beiläufig, sein Kinn auf die Kruppe des Alphas. Wie von der Tarantel gestochen, springt dieser auf, und weil eingeklemmt, stürzt er sich nicht auf den hinter ihm stehenden Beta, sondern auf einen vor ihm sitzenden, nichtsahnenden Rangniederen.
Der Unschuldige schreit und zetert vor Angst, wälzt sich auf den Rücken und zeigt alle Formen der Unterwerfung, defensiven Abwehr und Beschwichtigung. Drohend steht der Alpha über ihm und nagelt ihn mit seinem Körpergewicht und den gebleckten Zähne am Boden fest. Erst als seine Wut verraucht ist, löst er die Bedrängung des Omegas auf, und dieser flüchtet schleunigst in die äußerste Ecke, schrecklich frustriert. Bei einer anderen Gelegenheit und gleicher Provokation hat sich der Alpha übrigens seinen "Betalümmel" persönlich zur Brust genommen!
Dominanzverhalten und Folgen
In allen gezeigten Beispielen werden verschiedene Formen von Dominanzverhalten und entsprechende Reaktionen sichtbar, von der freien Platzwahl des Alphas über das Kinnauflegen (leichte Bedrängung) bis zum massiven "Drüberstehen" und "Niederhalten" des Rangniederen. Die so sichtbare Beschränkung der Handlungsfreiheit (Platz räumen, vom Futter weichen) bis hin zur massiven Einengung der körperlichen Bewegungsfreiheit treffen die rangniedrigen Rudelmitglieder natürlich häufiger und oft so nachhaltig, daß sich selbst in ihrem Stoffwechsel Streßfaktoren nachweisen lassen. Das führt in Extremfällen zur Reduzierung des Immunsystems mit entsprechender Anfälligkeit, und bei Futterknappheit zur Unterernährung oder gar zum Hungertod.
Doch das Schicksal und Verhalten der Omegas verändert sich schlagartig, wenn man sie aus ihrem Rudel herausholt. Befreit von der Tyrannei der Ranghöheren können sie selber zu Alphahunden werden und ein eigenes Rudel gründen. Und das gilt nicht nur für die Omegas des Langnasenrudels!
Dieses Phänomen erscheint nun vor allem für Züchter, aber auch Besitzer mehrerer Hunde von Bedeutung. Zum einen können Züchter aus einem Wurf Welpen auch die "Prügelknaben" guten Gewissens an Welpenkäufer abgeben. Der optimalen Entwicklung des Welpen liegt in der neuen Umgebung nichts im Wege.
Besitzt man jedoch ein Hunderudel, in dem ein Mitglied unter starkem Dominanzgebaren der anderen leidet, sollte man ernsthaft daran denken, diesen als Einzelhund in andere Hände zu geben.
Fazit Dominanzverhalten
Kommen wir aber nun zu den "Schlachtrufen" der "Dominanzkassandras" zurück. Natürlich ist es Unsinn, in der Spielaufforderung unseres Hauswolfs dessen Dominanzanspruch zu sehen - solange er nicht unserer Zurückweisung mit Aggressivität begegnet. Dann allerdings könnten wir ein Problem haben!
Auch die Reihenfolge beim "Fressen" bleibt ohne Belang, zumindest wenn die Rangordnung im Rudel ansonsten klar ist. Außerdem frißt unser Hund ja nicht vom Tisch oder gar aus dem gleichen Teller oder Topf wie wir! Betteln und Stehlen von Futter gehören übrigens zum natürlichen Verhalten aller Hunde, erst recht der Rangniederen! Genauso aber hat der Alpha das "Recht", ihm unangenehme Formen des Bettelns oder Stehlens zu unterbinden. Das Problem beginnt auch hier erst dann, wenn unsere Hund es wagt, von unserem Tisch oder gar Teller in unserem Beisein das Futter zu stehlen! Wer hier nicht drastische Maßnahmen ergreift, der ist selber schuld.
Das Ziehen an der Leine aber hat zunächst nichts mit Dominanzgebaren des Hundes zu tun. Denn für unsere Vierbeiner sind wir lahme Enten! Selbst der zügige Wanderer erreicht nur ein Tempo von ca. 5 km/h, aber jeder mittlerer Hund trabt fast doppelt so schnell. Und da wir uns bei den Spaziergängen ja in bekanntem Terrain bewegen, wo Gefahren selten drohen, sieht unser Hund auch keine Veranlassung, den Alpha voran zu schicken. Erst recht gilt diese Mentalität auch fürs Haus, dem sog. Heim erster Ordnung. Hier fühlt sich unser Hund sicher, hier gibt es keinen Grund, hinter der Haustüre, drinnen wie draußen, eine bösen Wolf zu vermuten und sich hinter dem Alpha in Sicherheit zu halten. (...)
Auf der Couch
Und wie sieht es nun mit dem Platz auf dem Fernsehsessel aus? Nicht nur aus den Beobachtungen der Langnasen wissen wir: Der Rangniedere muß seinen Platz räumen, wenn der Ranghöhere Anspruch darauf erhebt. Erst wenn ihr Hund sich nicht nur taub stellt, sondern auch noch droht, dann müssen sie handeln!
Das hat ein einziges Mal meine Alpha-Hündin Blacky (ihr Status gilt nur für unsere vierbeinigen Hausgenossen!) riskiert. Zu Blackys Ehrenrettung muß man sagen: Sie hat sich vorm Ausgang bei Sauwetter auf einen Platz verdrückt, der ihr bisher anstandslos zugebilligt worden war. Dennoch habe ich mir das Knurren nicht bieten lassen und kurzerhand den Sessel auf Kipp gestellt! Seit dieser Zeit räumt sie schon freiwillig, wenn ich nur zügig zur Lehne greife.
Sensible Zone!
Interessant für unseren Umgang mit Hunden erscheint mir aber auch die Reaktion des Alpha-Rüden der Langnasen beim Kinnauflegen durch den Beta. Das Auflegen auf der Fläche von Kopf bis Kruppe scheint grundsätzlich einen Dominanzanspruch eines Ranghöheren auszudrücken - egal wie nachhaltig das geschieht. Hier stellt der Beta offenbar die Rangordnung in Frage, daher die massive Reaktion des Alpha.
Betrachtet man nun die Unart gewisser Zeitgenossen, auch bei fremden Hunden über den Kopf zu fassen, um zu "streicheln", so erkennt man das Gefahrenpotential: Ein Hund mit "Alphamentalität" sieht hier einen Angriff auf seine Stellung und könnte entsprechend heftig reagieren. Die meisten Hunde weichen zunächst aus, aber einige neigen durchaus dazu, kurz zuzuschnappen. Verhält sich dann der Mensch noch weiter falsch, was zu erwarten ist (entweder Bedrängen des zurückweichenden Hundes, oder Weglaufen, Panik u.a.), dann ist das Unglück vorprogrammiert - und natürlich ist der Hund schuld! Vor allem Kindern muß man also Respekt vor den Hunden beibringen (nicht Angst!), damit sie sich richtig verhalten.
Respekt vor dem Hund
Ich jedenfalls begegne jedem fremden Hund, ob Zwerg oder Riese, mit diesem Respekt und entsprechendem Takt. Ich nähere mich ruhig, nicht hastig, und selten näher als einen Meter, um dem Hund nicht das Gefühl des Bedrängtseins zu geben. Meine ausgestreckte Hand senke ich ohne Hast tiefer als seine Nase und lasse ihm die Möglichkeit, meinen Geruch zu prüfen. Dabei starre ich ihn möglichst nicht an, weil das unter Hunden und Wölfen als ein deutliches Aggressionssignal gilt.
Dann lasse ich ihm die Wahl, ob er sich mir zuwendet oder Besseres vorhat. Erst wenn er nach vorne strebt und mit mir näheren Kontakt aufnimmt, kraule ich unter seinem Kinn. Schmiegt er sich in meine Hand, dann kann ich mich über die Wange bis hinters Ohr vorarbeiten, und erst dann mute ich ihm meine Hand auf seinem Kopf zu. Jetzt weiß er, daß ich keine Dominanzgeste beabsichtige, und er kann sich wohlig meinem Kraulen hingeben.
Im Verständnis der Grundverhaltensweisen unserer Hunde und deren Vermittlung auch an unsere Umwelt liegt für alle verantwortungsvollen Hundehalter und Züchter eine wichtige pädagogische Aufgabe. Sie zielt auf ein entspanntes Leben in einer Umgebung, die nicht ganz so hundeverrückt ist wie wir und wirkliche oder vermeintliche Bedrohung durch unsere Hunde nur wenig toleriert.
Quelle: Wolfswinkeler Hundetage
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